Forum Kommunalpolitik: 35 Jahre Naturkostladen in Oberhausen

 01.07.2016. Seit 35 Jahren sind die Wagners Pioniere des Biohandels im Ruhrgebiet. Von Beginn an waren ihnen wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge wichtig, engagierten sie sich für vollwertiges, gesundes Essen, das unsere Erde nicht ausbeutet. Statt Großhandel setzte das Keimblatt anfangs auch auf genossenschaftliche Einkaufsstrukturen für ihre Waren. Heute stehen sie vor neuen Herausforderungen der Biobranche und sehen die großen Probleme der bäuerlichen Landwirtschaft. "Forum Kommunalpolitik" hat die Pioniere interviewt.

Hier ein Auszug, das vollständige Interview finden Sie in unserem Magazin.

Wie hat sich das Keimblatt gegründet?

Cornelia Jungbluth-Wagner Wir haben mit einem gemeinschaftlichen Kundenladenprojekt begonnen und bevor wir den Laden dann in Eigenregie weitergeführt haben. Das Sortiment war klein, es gab zum Beispiel Trockenfrüchte, Honig, es gab nur einen einzigen vegetarischen Brotaufstriche, eine Sojapaste aus Frankreich, keine Schokolade. Dafür haben wir – heute schwer vorstellbar im Bioladen  – Produkte aus Umweltschutzpapier angeboten, Hefte, Briefpapier, Informationsschriften, Bücher. Wir hatten eine kleine Leihbücherei.

Sie waren damals noch Studenten, wie haben Sie sich organisiert?

Wir haben damals beide noch vormittags in Bochum Biologie studiert und den Laden nachmittags geöffnet. Auf dem Rückweg von Bochum haben wir Obst und Gemüse vom Bauern mitgenommen. In den ersten Jahren hat das so sehr gut funktioniert.

Und dann?

Detlef Wagner Dann kam Tschernobyl, und der Massenansturm war da. Wir waren nämlich immer bestens informiert, welche Lebensmittel mit wie viel Becquerel belastet waren. Der konventionelle Handel war mit der Situation überfordert. Aus der damaligen Situation heraus haben wir viele Kunden gewonnen. Die Kinder, die hier bei uns auf der Ladentheke saßen, sind jetzt selbst unsere Kunden.

Was war ihr persönlicher Ansporn, einen kleinen Bio-Eckladen zu führen?

Cornelia Jungbluth-Wagner Einen Laden wie unseren, in dieser Größe, gibt es nur noch selten. Wir verbinden die Idee gesunder Ernährung mit dem Wert der gesunden Erde, dem Erhalt unserer Ressourcen. Natürlich müssen wir uns auch behaupten, wir müssen auch unsere Rechnungen bezahlen. Aber das stand für uns nie im Vordergrund.

Detlef Wagner Wir wollten auch Aufklärungsarbeit leisten, uns selbst informieren. Die Wanderausstellung „Unser täglich Brot“ haben wir hergebracht, haben den Kultfilm „Septemberweizen“ gezeigt, der damalige Amtsleiter des chemischen Untersuchungsamtes von Oberhausen hat etwas über chemische Belastungen in Lebensmitteln erzählt. Wir wollten auch ein kleines Forum sein, es gab bei uns Veranstaltungen, zum Beispiel vom BUND, für die Bunte Liste, die VHS, für einen Imker, der etwas über seine Imkerei erzählt hat.

In den 80er Jahren kam das Umweltbewusstsein erst auf, es musste alles noch erarbeitet werden. Oberhausen als Industriestadt hat damals erstmals einen Altlastenkataster bekommen. Man hat sich nach Jahrzehnten Industrialisierung mit der Frage beschäftigt, was man mit den verseuchten Böden macht. Die Leute wollten weg von der Vergiftung von Boden, Luft und Wasser, von der Ausbeutung von Ressourcen. Das Limit war erreicht.

Haben sie sich auch politisch für ihre Ziele engagiert?

Cornelia Jungbluth-Wagner Ja, wir waren in Oberhausen auch kommunalpolitisch aktiv. Wir haben die Bunte Liste mitgegründet und sind mit ihr in den Stadtrat eingezogen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man da auch was bewegen kann, aber dass es auch viel Energie und Zeit erfordert. Unsere kritischen Nachfragen, beispielsweise zur Bodenqualität in Kleingärten, wurden auch argwöhnisch beobachtet und angefeindet.

Bio gibt es mittlerweile an jeder Ecke. Wie setzen sie sich im Wettbewerb durch?

Detlef Wagner Die Frage ist, was ist eigentlich Bio. Die großen Supermarktketten halten sich an Minimalvorgaben, machen eben „Minimal-Bio“. Das hat den Kleineren geschadet. Andererseits war unser Ziel von Beginn an, dass es überall einmal biologisch erzeugte Produkte geben soll. Damals fanden viele das vermessen, zu idealistisch gedacht, wir sind auch verlacht worden dafür. Heute ist es Realität, aber es ist noch verbesserungsfähig.

Wofür brauche ich ein Bio-Weintrauben im Frühjahr, die aus Chile eingeflogen werden? Der Bio-Gedanke ist immer mit der Frage der Ressourcenschonung verknüpft. Wir gehen aber auch darauf ein, dass die Leute im Sommer auch Äpfel essen wollen. Solche Produkte, die ganzjährig nachgefragt werden, versuchen wir von so nah wie möglich zu bekommen. Im Prinzip gibt es bei uns Obst und Gemüse vor allem saisonabhängig.

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