Studie vhw: Herausforderungen der Flüchtlingsaufnahme

06.05.2016. Mit Unterstützung der beiden kommunalen Spitzenverbände Deutscher Städtetag und Deutscher Städte- und Gemeindebund hat der vhw - Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. vom 7. März bis zum 8. April 2016 eine bundesweite Online-Befragung zur Situation, den Herausforderungen und den Perspektiven der Flüchtlingsaufnahme durchgeführt.
Die vhw-Kommunalbefragung „Herausforderung - Flüchtlingskrise vor Ort“ hat mit  über 30 Fragen aktuelle Informationen zu den Belastungen und dem Umgang der Kommunen damit, zu Koordination und Steuerung der Integrationsaufgaben, zu noch erforderlichen Maßnahmen und den Einschätzungen für die Auswirkungen in den Städten und Landkreisen eingeholt. Die Antworten der Befragten spiegeln wider, was der umsetzenden Ebene besonders wichtig ist.
Unter den verschiedenen Angeboten, die nach Ansicht der Befragten erweitert werden müssten, stehen Maßnahmen zur Arbeitsmarktqualifizierung an erster Stelle (75 Prozent der Befragten) – was auch Kern des geplanten Integrationsgesetzes ist, möglichst viele Menschen mit Bleibeperspektive in den Arbeitsmarkt zu integrieren, gefolgt von „günstigem Wohnraum“ (70 Prozent, in den Großstädten sogar über 80 Prozent) sowie zusätzliche Sprachkurse (65 Prozent).
In der vhw-Kommunalbefragung wurden 1.521 Kommunen und Landkreis postalisch für die Onlinebefragung angeschrieben.44 Prozent der Befragten (583 Kommunen und 71 Landkreise) haben geantwortet.

Ergebnisse der vhw-Kommunalbefragung  Herausforderung „Flüchtlingskrise vor Ort“
 
Wie „stemmen“ die Kommunen die Aufgaben?
 
• Die befragten Großstädte meinen zu mehr als 60 Prozent, die mit der Flüchtlingsaufnahme verbundene Belastung sei „sehr hoch“ und „nicht mehr alleine“ zu bewältigen. Diese Einschätzung wird von einem Drittel der Klein- und Mittelstädte geteilt. Unter ihnen ist die Auffassung verbreitet, die Belastung sei „durch Einschränkungen in anderen Ausgabenfeldern zu bewältigen“ (20 Prozent) bzw. „weniger hoch, aber spürbar“ (25 Prozent).
Aber auch, jede achte teilnehmende Kommune sieht sich als „bislang kaum betroffen“, darunter viele kleine Kommunen.
Insbesondere die Kommunen und Kreise in NRW, im Saarland und Bremen fühlen sich mehrheitlich nicht in der Lage, die finanziellen Lasten alleine zu tragen. Anders sieht es im Süden, aber auch im Osten aus.  
• Die personelle Belastung durch die Flüchtlingsaufnahme wird von drei Vierteln der Kommunen als stark oder sehr stark beschrieben, wobei die Großstädte sich überdurchschnittlich stark betroffen fühlen.
Die ostdeutschen Kommunen berichten deutlich weniger von einer starken Belastung des Personals. Kaum seltener wird – von zwei Dritteln der Kommunen – die Belastung für die reguläre Leistungserbringung und die Qualität der Leistungen genannt. Auch in diesem Punkt sind die westdeutschen Großstädte besonders stark, die ostdeutschen Kommunen deutlich geringer betroffen. 
 • Um angesichts der personellen und finanziellen Belastung zum Regelbetrieb zurückzukehren, wollen fast 80 Prozent die Kooperation mit Netzwerken und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren stärken, am häufigsten die kleinen Kommunen, seltener die Großstädte. Zwei Drittel der Befragten wollen ihr Personal aufstocken, in den Mittel- und Großstädten mehr als 80 Prozent. Dieser Weg wird nur in den ostdeutschen Kommunen mit 40 Prozent deutlich seltener genannt. 
• Verstärkte finanzielle Zuwendungen von Bund, Land oder durch den interkommunalen Finanzausgleich erwarten 53 Prozent der befragten Kommunen und sogar 70 Prozent der Großstädte.
 
Nur jede/r zehnte Befragte sieht perspektivisch mehr „Risiken“ als „Chancen“. 
 
Wie stellen sich die Kommunen zu wichtigen Fragen?
 
• Als grundsätzliches Manko für die Bewältigung des Eingliederungsprozesses sehen die Befragten das Fehlen wichtiger Informationen zu den Geflüchteten, insbesondere in den Bereichen Sprache, Bildung bzw. berufliche Qualifikation. Gefordert werden mehr und bessere Informationen durch übergeordnete Behörden, Leitfäden, interkommunalen Austausch oder durch Befragungen der Geflüchteten.  
• Bei der Prioritätensetzung der anstehenden Herausforderungen zeigen kleine und große Kommunen insgesamt nur geringe Unterschiede. Unterbringung und Wohnungsversorgung werden in den kleineren, Sprache und Bildung in den Großstädten als wichtigste Aufgabe genannt. Eine ähnlich wichtige Rolle nimmt die bessere Finanzausstattung ein. Mit deutlichem Abstand folgt die gesellschaftliche Integration der Geflüchteten, während der „Aufbau von Netzwerken“ oder die „öffentliche Sicherheit“ seltener als „besonders wichtig“ eingestuft werden. 
• Unter den verschiedenen Angeboten, die nach Ansicht der Befragten erweitert werden müssten, rangieren Maßnahmen zur Arbeitsmarktqualifizierung an erster Stelle (75 Prozent der Befragten), gefolgt von „günstigem Wohnraum“ mit 70 Prozent, bei den Großstädten sogar 82 Prozent. Zusätzliche Sprachkurse wünschen 65 Prozent, weitere Schulplätze jedoch nur 45 Prozent der Städte und Gemeinden. 
• Eine deutliche Mehrheit von fast 70 Prozent der Antwortenden spricht sich wie die Bundesregierung für eine Wohnsitzauflage aus. Am höchsten ist die Zahl der Befürworter unter Teilnehmern aus Gebieten mit „schwieriger“ demografischer und wirtschaftlicher Lage, am geringsten in den prosperierenden Gebieten.  
• Die Zusammenarbeit mit Akteuren vor Ort bei der Bewältigung der Aufgaben wird überwiegend positiv gesehen, insbesondere jene mit ehrenamtlich Engagierten und Flüchtlingsinitiativen. Etwas schlechter bewertet  wird die Kooperation mit Unternehmen, Migrantenorganisationen oder Moscheevereinen. Mit Wohnungsunternehmen und Arbeitgebern möchten viele Kommunen enger kooperieren. 
• Als größte Chance wird der Weg zu einer „vielfältigen, weltoffenen“ Kommune gesehen (62 Prozent), geringer die Chancen für die lokale Ökonomie oder für den Abbau von Leerständen (30 Prozent, Großstädte nur 9 Prozent• Eigene Integrationskonzepte sind in den Klein- und Mittelstädten bislang nur bei einer Minderheit  vorhanden, viele Kommunen haben bisher auch keine Überlegungen angestellt. Häufig taucht die Forderung nach entsprechenden Zielvorgaben bzw. Leitlinien auf. Als bei weitem wichtigste (flankierende) Integrationsmaßnahmen werden Sprache, Bildung und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gesehen. 
• Von den Kommunen mit entsprechender Erfahrung sieht eine große Mehrheit das Soziale-Stadt-Instrumentarium als wichtig für die Bewältigung von Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise.
 
Fazit der Befragung:  Die Belastung wird weiterhin als hoch angesehen, allerdings mit erheblichen regionalen Unterschieden. Die Mehrheit der Befragten erwartet nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch bessere Informationen. Die Integration der Geflüchteten steht im Vordergrund, doch konkrete Konzepte fehlen vielerorts.  Bei einer Wohnsitzauflage, wie sie im neuen Integrationsgesetz angestrebt wird, erwarten viele Kommunen Unterstützung bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
 
Das Begleitmaterial zur Befragung kann vom internen Bereich heruntergeladen werden: