Theater Ruhrorter: Interview zum Theater mit Geflüchteten

23.02.2016. Viele spannende Initiativen und Projekte beschäftigen sich in den Kommunen NRWs mit Flüchtlingen. Ein besonders spannendes Projekt ist Theater Ruhrorter, dem wir aufgrund der Fülle an Fachbeiträgen in der aktuellen Forum Kommunalpolitik nicht genügend Platz einräumen können. Dafür gibt es hier das vollständige Interview mit Projektleiter Adem Köstereli. Die Forum erscheint Mitte März 2016.

Wie ist das Projekt Ruhrorter entstanden und was genau beinhaltet es?

 

RUHRORTER ist ein auf Nachhaltigkeit angelegtes Theater- und Kunstprojekt des Theater an der Ruhr mit Geflüchteten. Seit 2012 versuchen wir durch Theater, interaktive Kunstinstallationen, öffentliche Interventionen und begleitende anthropologische Forschung ein öffentlich sichtbares und erfahrbares Korrektiv gegen die unmenschliche Kategorisierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen – in der Bürgergesellschaft, den Medien und auch der dokumentarischen Kunst – zu entwerfen. Dabei verweisen wir auf historische und aktuelle Formen von Isolation und Ausgrenzung in der Stadt, indem geschichtsträchtige und verlassene Orte im Stadtbild als Spielstätte genutzt und umgedeutet werden.

 

Das Projekt entstand am Theater an der Ruhr und führt in vielen Arten und Weisen dessen 30-jährige Tradition der Auseinandersetzung mit Fremdheit, Ausgrenzung und Migration fort.

 

Was motiviert Sie zur Arbeit mit Flüchtlingen?

 

In erster Linie motivieren uns die Menschen, die mit uns arbeiten, die Freundschaften, die dadurch entstehen sowie das Publikum.

 

Der Philosoph Giorgio Agamben beschreibt in einem seiner Werke, dass der Flüchtling nicht mehr als Randfigur eines Staates, sondern als zentrale und zeitgenössische Figur - als gesichtsloses Massenphänomen - unserer politischen Geschichte zu betrachten sei.

 

Wir beschäftigen uns sehr viel mit der Fragestellung, wie Gesellschaften Geflüchteten begegnen, wie sie über Menschsein, Solidarität, Zusammenleben denken und welche Werte diese Gesellschaften dem Menschen und einem „guten“ Leben zuschreiben. Das Theater ist diejenige Kunstform, die sich intensiv mit solchen Fragen auseinandersetzen kann; sie ist zudem eine Praxis des Miteinander-Umgehens.

 

In Deutschland hat Theater (zum Glück) eine gesellschaftliche etablierte Rolle als Forum, das durch seine Kunst politisch agieren und kommunizieren kann. Über intensive und disziplinierte Kunstarbeit und Fokus auf ästhetische Formen arbeiten wir daran, die entsubjektivierte Kategorie des ‘Flüchtlings’ durch die Ambivalenz der Kunst - und bewusst nicht durch dokumentarischen Fokus auf ‘Authentizität’ - erneut als Potenzial zu begreifen. Kunst kann hier die Möglichkeit bieten, Kategorien zu brechen und in der Öffentlichkeit eine kreativere und komplexere Diskussion zu Flucht und Migration zu initiieren.

 

Was ist das Politische an der Theaterarbeit mit Flüchtlingen?

 

Theater ist auf viele verschiedene Arten und Weisen politisch. Als Treffpunkt verschiedener Menschen ist es beispielsweise ein gesellschaftliches Forum - es stellt eine Gemeinschaft dar.

 

Am Theater an der Ruhr ist zum Beispiel gerade das Café Aleppo Projekt gestartet worden - als Versuch, ein selbstorganisiertes Forum für arabisch-sprachige Künstler*innen zu erschaffen. Theater ermöglicht zudem das Arbeiten an sich selbst - es ist ein Ort der Reflexion und dadurch der ‘Subjektivierung’. Selbstverständlich ist Theater aber auch eine gesellschaftlich und kulturpolitisch integrierte Institution, die eine wichtige Rolle in städtischen Entscheidungen spielt.

 

Wir arbeiten bspw. auch an Integrationskonzepten mit der Stadt oder an überregionalen Konzepten zu Bildungsangeboten für Geflüchtete, vermitteln Geflüchtete bspw. zu den richtigen Ansprechpartner*innen in der Verwaltung oder anderen beratenden Einrichtungen und manchmal auch zu potentiellen Arbeitgebern.

 

Als Kunstform ist Theater wiederum auch auf andere Arten und Weisen politisch. Eine wichtige ästhetische Überlegung am Theater an der Ruhr ist es, seit 30 Jahren Kunst auch als Infragestellen von etablierten Denkweisen zu verstehen. Kunst kann durch Andersartigkeit, oder das Darstellen von Fremdheit, fixe Denkmuster hinterfragen und neue Möglichkeiten des Seins und Denkens entwickeln.

 

Wir arbeiten hier speziell an der Praxis, Menschen mit Fluchthintergrund nicht nur als „Flüchtling“ oder davon determiniert zu verstehen, sondern als selbstbestimmte Subjekte jenseits von Stigmatisierungen und Stereotypisierungen.

 

Ziel ist es daher nicht, einzelne Schicksale in ihrer Tragik zu exponieren, da diese die Menschen nur weiter in ihren Situationen verankert und Vorurteile verfestigt.

 

Welche Unterstützung erhalten Sie von Ihrer Kommune – also Mühlheim?

 

Wir blicken auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit städtischen Institutionen zurück. Neben einer kleinen finanziellen Förderung unterstützen uns viele Menschen tagtäglich bei der Vernetzung mit Kooperationspartnern, Initiativen und Geflüchteten selbst. Ich selbst schätze darüber hinaus die offene Kommunikation, die Hilfsbereitschaft und den respektvollen Umgang miteinander. Besonders hervorzuheben ist hier der Austausch mit dem Dezernat für Bildung, Soziales, Jugend, Gesundheit, Sport und Kultur, den verschiedenen Koordinierungsstellen für Bildung und Integration, dem Centrum für Bürgerschaftliches Engagement sowie dem Kommunalen Integrationszentrum Mülheim an der Ruhr.

 

Was wünschen Sie sich von Ihrer Kommune, um Ihre Arbeit effektiver zu machen?

 

Ich wünsche mir zunächst einmal für die Zukunft, dass Mülheim an der Ruhr die bisherige vorbildliche Arbeit im Umgang mit der Thematik weiter in der Form fortsetzt.

 

Ein großes Ziel sollte es sein, gerade die muslimischen Verbände und alteingesessenen Bürger*innen einzuladen, sich intensiver einzubringen. Zudem würde noch mehr Transparenz über Prozesse, Entscheidungsfindungen und strategische Entwicklungen sehr hilfreich sein, um die Freiwilligen ihrer Expertise entsprechend auf dem Laufenden zu halten.

 

Nicht zuletzt wäre es eine große Chance, die Menschen mit Geflohenenstatus zum Teil der kommunalen Politik zu machen, indem ihnen bspw. Zugang zum Stadtrat oder eine offizielle Vertretung eingeräumt würde.

 

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