GAR-Dossier Bundeskongress: Zürich auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft

Von Bruno Bébié, Energiebeauftragter der Stadt Zürich, Departement der Industriellen Betriebe

Seit 2006 orientiert sich der exekutive Stadtrat von Zürich in der Energiepolitik an den Vorgaben der sogenannten "2000-Watt-Gesellschaft". Parlament und Stimmberechtigte sind ihm auf seinem Weg gefolgt: Am 30. November 2008 sagten an der Urne drei Viertel der Stimmberechtigten Ja zu einem neuen Artikel in der Verfassung der Stadt. Dieser sieht vor, den Primärenergieverbrauch pro Person langfristig auf 2000 Watt zu senken. Der Treibhausgas-Ausstoß soll bis 2050 nur noch eine Tonne CO² pro Person und Jahr betragen. Und die Beteiligungen an Kernenergieanlagen sollen nicht verlängert bzw. erneuert werden.

Energiepolitische Ausgangslage
Heute werden in der Stadt Zürich pro Einwohnerin und Einwohner im Durchschnitt rund 4200 Watt Primärenergie verbraucht und rund 4,7 Tonnen Treibhausgasemissionen emittiert. Das sind über 1000 Watt bzw. rund 1.5 Tonnen weniger als vor 25 Jahren. Mit eingeschlossen in dieser Bilanzierung sind alle direkt beanspruchten Energieträger auf Stadtgebiet (zuzüglich Flugverkehr). Im Folgenden werden die wichtigsten strategischen Instrumente der Energiepolitik der Stadt Zürich vorgestellt.

Der Masterplan Energie
In den meisten größeren Städten sind die energiepolitisch wichtigen kommunalen Handlungsmöglichkeiten auf verschiedene Organisationseinheiten verteilt. Damit stellt sich die Frage nach der integralen Steuerung. Zu diesem Zweck wurde 2003 der Masterplan Energie konzipiert. Er wird jeweils vom Stadtrat beschlossen und hält den Zielpfad bis 2050 und die strategischen Maßnahmen fest. Ferner definiert er verbindlich die involvierten städtischen Akteur*innen - derzeit 17 Dienstabteilungen und stadtnahe Organisationen. Die Umsetzung der jährlich rund 500 operativen Maßnahmen erfolgt im Rahmen von begleiteten Jahresgesprächen zu den Maßnahmenplänen und wird durch die Akteur*innen selbst überprüft. Für gewisse Themenbereiche sowie die übergeordneten 2000-Watt-Zielsetzungen wird ein gesamtstädtisches Controlling durchgeführt. Eine Steuerungsgruppe sorgt für die stadtweite Koordination der Maßnahmen und begleitet die alle vier Jahre durchgeführte Aktualisierung des Masterplans Energie.

Das Energieversorgungskonzept 2050
Grundlagen des Konzepts für das gesamte Stadtgebiet sind die Erarbeitung von geographisch differenzierten Szenarien für die Energienachfrage, das Angebot von lokal nutzbaren erneuerbaren Energien und die heutige und künftig notwendige Energieinfrastruktur für deren Nutzung. Der Szenario-Zeithorizont geht bis 2050. Die Szenarien fokussieren auf folgende drei Einflussfaktoren, die für ein 2000-Watt-kompatibles Energieversorgungskonzept zentral sind:

• die durch Effizienzmassnahmen beeinflusste Energienachfrage (Effizienz in GWh/m2 Energiebezugsfläche),

• die räumlich differenzierte lokale Verfügbarkeit erneuerbarer Energien,

• die durch städtebauliche Vorgaben beeinflusste bauliche Entwicklung (Dichte in Energiebezugsfläche /ha und Energiedichte in GWh/ha).

Die Modellierungsergebnisse zeigen, dass bei forcierten Gebäudesanierungsmaßnahmen und Energieträgerwechsel die Pro-Kopf-Vorgabe für die Treibhausgasemissionen für den Gebäudepark in der Stadt Zürich 2050 erreicht werden kann. Erfolgt heute die Deckung der Endenergienachfrage für Wärmezwecke hauptsächlich noch mit Erdgas und Erdöl, so dürften 2050 die lokalen nicht-fossilen Energieträger rund 85 Prozent ausmachen. Fernwärme- und Wärmepumpensysteme werden die höchsten Anteile aufweisen. Allerdings wird die Zusammensetzung der verschiedenen Energiesysteme in einzelnen Teilgebieten sehr unterschiedlich ausfallen. Die Modellierungsergebnisse lassen ferner den Schluss zu, dass in bestimmten städtischen Teilgebieten die vorhandenen lokalen Potenziale von erneuerbaren Energiequellen für die Erreichung der 2000-Watt-Vorgaben bei der Realisierung von objektindividuellen Versorgungslösungen nicht ausreichen. In diesen Gebieten werden  leitungsgebundene Systeme nötig sein, die lokal konzentrierte, 2000-Watt-kompatible Energie in größeren Gebieten nutzbar machen, so wie Fernwärme. In diesen Gebieten werden langfristig objektspezifische Einzellösungen zugunsten einer stadtweit koordinierten kollektiven Versorgungslösung in den Hintergrund treten müssen.

Aus wirtschaftlichen Gründen beschränkten sich in der Stadt Zürich solche kollektiven Verbundlösungen bisher vor allem auf Teilgebiete zur Nutzung von Abwärme aus der Müllverbrennung (siehe Abbildung 3, Zone 1) oder von Industrieprozessen. Künftig werden auch Verbundlösungen mit der Nutzung von Energie aus gereinigtem Abwasser und aus Oberflächengewässern bzw. Grundwasser eine deutlich größere Rolle spielen (siehe Abb. 3, Zone 2). Für Zürich wird damit gerechnet, dass sich der Flächenanteil solcher Energieverbundsysteme langfristig auf rund 40 Prozent verdoppeln wird.


Die Kommunale Energieplanung
Der kommunale Energieplan zeigt auf, in welchem Gebiet welche Energieträger sinnvoll sind. Für leitungsgebundene Energiesysteme - insbesondere Fernwärme und Energieverbunde - werden Gebietsfestsetzungen mit Priorisierung dieser Energieträger definiert. Damit wird die Nutzung der lokalen Erneuerbaren Energien stadtweit koordiniert und optimiert. Die Energieplanung der Stadt Zürich wurde in den letzten zwei Jahren vollständig neu konzipiert und auf die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft ausgerichtet.

Kommunikationsstrategie 2000-Watt-Gesellschaft
Aufgrund der direkt-demokratischen Prozesse müssen energiepolitische Geschäfte in Zürich je nach Finanzierungsvolumen vom Stadtrat, der Legislative oder vom Volk beschlossen werden. Daher kommen jedes Jahr mehrere strategische Geschäfte zur Abstimmung, in welcher sie - mit Bezug auf die 2000-Watt-Vorgaben in der Verfassung bzw. der Gemeindeordnung der Stadt - als Meilensteine zur Zielerreichung breit kommuniziert werden können. So wurde unter dem Titel „2000-Watt-Fördermaßnahmen“ im Sommer 2016 vom Volk mit großer Mehrheit eine Verdoppelung der Fördermittel auf über 50 Millionen Franken beschlossen. Daneben gibt es eine Dachkommunikation zu Zielen, Zielerreichung (mit 2-jährlicher Berichterstattung), wichtigsten Maßnahmen und Wirkungsbeiträgen der Akteur*innen.

Bruno Bébié ist Ökonom mit Nachdiplomstudien in Umweltlehre und Energietechnik und seit 2000 Energiebeauftragter der Stadt Zürich. Neben seiner Funktion bei der Stadt Zürich leitet er unter anderem die Arbeitsgruppe der Energiebeauftragten der größten Schweizer Städte und ist Vorstandsmitglied des Trägervereins Energiestadt (eea).